Im Jahr 2019 hat die ostfriesische Insel Norderney 222 Jahre Seebad gefeiert und es ist typisch für die Norderneyer, dass sie 222 Jahre und nicht etwa 225 Jahre gefeiert haben. Die Insel lebt zu fast 100 % vom Tourismus und war insbes. in den letzten zwei Jahrzehnten als Destination sehr erfolgreich. Das zeigen die 3,8 Mio. Übernachtungen, über 590 Tausend Gäste und das bei rund 6.500 Einwohnern. Das Marketing, das mit dem Slogan "Meine Insel" wirbt, ist so erfolgreich, dass es quasi keine Saison mehr gibt. In den Wintermonaten sind mit etwa einem Drittel der Sommerkapazitäten Gäste und Übernachtungen zu verzeichnen. Dieser Erfolg hat aber auch seine Schattenseiten. Das soziale Miteinander der Inselgemeinschaft hat durch die touristische Auslastung auch gelitten. So gibt es z. B. aufgrund der fast ganzjährigen Saison keine Winterruhe mehr, Freiräume für die Insulaner sind kaum noch vorhanden, Wohnraum zu teuer. Zunehmend wurden die kritischen Stimmen der Einwohner lauter, Politik und Verwaltung mussten etwas tun. 2019/2020 wurde ein Lebensraumkonzept gemeinsam mit der Bevölkerung erarbeitet, das die derzeitige Lage und Probleme aufzeigt, aber auch das Potential, was die Inselgemeinschaft tun kann, um die Lebensqualität auf der Insel zu verbessern. Die Norderneyer haben 6 prioritäre Projekte entwickelt. Eines davon ist, dass die Umsetzung der Ziele nur mit den Bürgerinnen und Bürgern erreicht werden kann und diese dabei unterstützt werden müssen. Deshalb soll eine Stelle eingerichtet werden, die sowohl Schnittstelle zwischen Bevölkerung und Verwaltung sowie zur Politik bildet, um den Erfolg aller Maßnahmen, aber eben auch die Bürgerbeteiligung an sich auf der Insel zu verstetigen. Ein Austausch mit dem Projekt "Leben im Meer" der Inseln Juist, Spiekeroog und Wangerooge sowie dem Dachprojekt hat aufgezeigt, dass die Gemeinwesenarbeit die richtige Methode ist, um genau diese Ziele zu erreichen. Zukünftig soll eine Vernetzung zu diesem Projekt den eigenen Prozess unterstützen. Die Implementierung der Gemeinwesenarbeit über den Förderzeitraum hinaus wird angestrebt. Die Corona-Krise hat die Wirtschaft auf der Insel nahezu zum vollständigen Erliegen gebracht und natürlich auch Existenzängste erzeugt. Es ist aber auch deutlich geworden: Die Inselbevölkerung kann ihre Potentiale beleben. Man hilft sich wieder gegenseitig, wie früher, als man in Extremwetterlagen auf sich allein gestellt war. Das gibt positiven Schub und Kraft für die GWA auf der Insel.
Norderney verzeichnete 2019 rund 3,8 Mio. Übernachtungen und knapp 600.000 Gästeankünfte. Tourismus ist der Hauptwirtschaftsfaktor und damit Lebensgrundlage für die Inselbevölkerung (Beschäftigungsanteil im 3. Sektor: 90 %). Bisher ging es immer um mehr Gäste, mehr Angebote für Gäste, Auslastung auch außerhalb der Hauptsaison. Doch die Insel hat ihre Belastungsgrenze erreicht. Immer mehr Insulaner stellen sich die Frage, wie viel Tourismus die Inselgemeinschaft noch verträgt. Für die Insulaner gibt es kaum noch Orte und (Ruhe-)Zeiten, an denen sie unter sich sein können, sowie zu wenig Freizeit- und Kulturangebote für Kinder, Jugendliche und speziell erwachsene Insulaner. Alles ist auf den Gast ausgerichtet. Norderney ist mittlerweile so beliebt, aber auch so teuer wie Sylt. Die Lebenshaltungskosten sind sehr hoch. Die Immobilienpreise steigen immens, insgesamt ist zu wenig bezahlbarer Wohnraum vorhanden oder dieser entspricht nicht den Bedürfnissen z. B. von Familien und Senioren. Nachbarschaften fallen durch den Verkauf von Häusern an Zweitwohnungsbesitzer weg, das Vereinsleben bröckelt. Ehrenamtliches und privates Engagement nimmt ab. Ausländische Mitbürger und die zahlreichen Saisonarbeitskräfte nehmen nicht am Inselleben teil (gewollt oder ausgeschlossen?). Insgesamt herrscht eine Überlastung der Bevölkerung, eine unausgeglichene Work-Life-Balance, die durch den Fachkräftemangel noch verstärkt wird. 2020 zog die Verwaltung die Reißleine: gemeinsam mit der Bevölkerung wurde ein Lebensraumkonzept erarbeitet, dass die Insulaner und ihr Wohlergehen in den Fokus rückt. Ein elementares Ergebnis des Lebensraumkonzeptes ist: Wir brauchen jemanden, der sich um uns kümmert.