Die Insel Spiekeroog wird auch die grüne Insel genannt. Dieser Begriff ist historisch gewachsen und wurde durch den überdurchschnittlich hohen Baumbestand im 19. Jahrhundert geprägt. Heutzutage bedeutet „grüne Insel“ auch einen Fokus auf Nachhaltigkeit zu legen. Die Spiekerooger möchten die schöne Natur ihrer Insel für die Zukunft bewahren und nehmen die Verantwortung für den Erhalt ihrer Lebensgrundlage sehr ernst. Die Kurverwaltung hat eine Nachhaltigkeitsinitiative gegründet, in deren Arbeitsgruppen auch einige Insulaner mitarbeiten, und eigens für die Koordination der einzelnen Projekte eine Teilzeitstelle geschaffen, welche im Oktober 2019 besetzt wurde. Mit seinen knapp 800 Einwohnern ist Spiekeroog nach Baltrum die zweitkleinste Insel. Die Siedlungsstrukturen und der Baubestand sind intakt, im Dorfkern gibt es mehrere historische Gebäude. Der Gesamteindruck ist der eines idyllischen Inseldorfes. Hochhäuser und „Bettenburgen“ sucht man hier vergeblich. Auch eine Strandpromenade mit viel Trubel und Kommerz gibt es nicht. Die Strandgastronomie am Hauptbadestrand besteht genau aus einem Gebäude. Spiekeroog hat als einzige ostfriesische Insel keinen Flugplatz und die Fährverbindung ist tideabhängig. Alle Gäste, alle Insulaner, sämtliche Nahrungsmittel und Konsumgüter sowie der gesamte Abfall werden per Fähre transportiert.
Die Gäste kommen wegen des intensiven Naturerlebnisses und der damit verbundenen Ruhe und Erholung auf die grüne Insel. Obwohl es das erklärte Ziel der Kurverwaltung ist, den Tourismus im Einklang mit der Natur zu entwickeln, hat man sich in den letzten Jahren im Tourismus weitestgehend verausgabt, so dass das Bild der nachhaltigen grünen Insel droht ins Wanken zu geraten. Es tut sich eine Lücke auf, welche offenbart, dass im Kampf um das Wirtschaftliche vieles im sozialen Miteinander verloren gegangen ist. Auch die wunderschöne Natur vor der Haustür kann der Insulaner selber kaum noch genießen, weil die Zeit fehlt. Tourismus ist wie auf den anderen Inseln der einzige Wirtschaftszweig. Obwohl Spiekeroog mit seinen knapp 4000 Gästebetten eher klein ist, hat die Insel mit einer zunehmenden Belastung der Infrastruktur durch die steigende Zahl an Gästen zu kämpfen. Wo ist die Balance zwischen einem nachhaltigen auskömmlichen Tourismus, einer intakten Natur und ausreichender Lebensqualität für Insulaner? Wie kann sich daraus eine Inselidentität entwickeln? Dies soll auf Spiekeroog exemplarisch für die anderen Inseln untersucht werden.
Auf Spiekeroog wird deutlich, dass trotz des bereits beachtlichen Engagements der Akteure immer noch großes Potenzial zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen besteht. Gleichzeitig gilt es die fortgeschrittene ökologische Nachhaltigkeit mit sozialer Nachhaltigkeit zu ergänzen und in Einklang zu bringen. Grundsätzliche Aspekte der Inselgemeinschaft geraten zunehmend in den Fokus, z.B. fehlender bezahlbarer Wohnraum gepaart mit einem Ausverkauf von Flächen und Immobilien an auswärtige Investoren, nicht ausreichend gesicherte Daseinsvorsorge, kaum Angebote für Jugendliche und Senioren, fehlende Teilhabe von Saisonkräften an der Dorfgemeinschaft, keine ausgeprägte Dorfidentität.
Das „anders sein“ Spiekeroogs (kein Flugplatz, tideabhängige Erreichbarkeit, idyllischer Dorfkern, wenig Infrastruktur) bedeutet für den Gast Ruhe, Erholung und Entschleunigung. Doch was bedeutet es für die Insulaner, speziell für die arbeitende Bevölkerung? Tourismus bedeutet häufig eine 7-Tage-Woche in der Saison, welche mittlerweile auch länger dauert als nur drei Sommermonate, der Trend geht zu rund-ums-Jahr. In dieser Überbelastung mangelt es den Insulanern häufig an Zeit und Energie, um soziale Kontakte zu pflegen oder Traditionen nachzugehen, welche früher für ein soziales Miteinander selbstverständlich und auch essentiell waren. Die schöne Natur wird zwar wahrgenommen, ist aber als Freizeitangebot alleine nicht ausreichend. Wie kann unter diesen Umständen trotzdem gute Daseinsvorsorge gelingen? Deckt die vorhandene Infrastruktur die Bedarfe der Insulaner oder bleiben Bedürfnisse offen? Was fehlt für mehr soziales Miteinander und mehr Lebensqualität auf der Insel?