Die ostfriesischen Inseln befinden sich im Vergleich zu Gemeinden auf dem Festland in gleich mehreren Sondersituationen (Tide-Abhängigkeit, Autofreiheit, Weltnaturerbe, 100% Tourismus als Wirtschaftsfaktor). Für viele Urlauber*innen sind diese Besonderheiten der Grund, Juist zu besuchen. Für die Einheimischen stellen sie im Alltag aber auch häufig eine Herausforderung dar (Logistik, Fachkräfteaquise, Restriktionen). Das Verhältnis zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen ist nicht ausgeglichen. Während der Saison gibt es viele Angebote, aber für die Einheimischen bleibt wenig Zeit, diese überhaupt zu nutzen. Vor allem in den Wintermonaten besteht der Wunsch nach mehr Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Durch die GWA soll das Bewusstsein für die eigenen Handlungsspielräume gestärkt werden, sodass in diesem Bereich ehrenamtliche Initiativen aus der Bevölkerung selbst heraus entstehen. Mehr Freizeitangebote schaffen automatisch auch mehr Begegnungsräume. Für die innere Stabilität als kleine Inselgemeinschaft ist es von enormer Bedeutung, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen (Senioren, Alt-Insulaner, Neu-Insulaner, Hilfsarbeiter, Jugendliche) zusammenzubringen und wieder mehr soziale Nähe herzustellen.
Ein weiteres Schwerpunktthema ist die Willkommenskultur. Viele Arbeitskräfte bleiben nur für kurze Zeit auf der Insel, die Fluktuation ist hoch. Neu-Insulaner*innen sollen bei ihrem Start auf Juist mehr unterstützt werden und somit insgesamt mehr Wertschätzung erfahren.
Zu Beginn der GWA sind die Startprojekte (Willkommens-Broschüre, Ehrenamtsbörse) wichtig, um Vertrauen zu schaffen und den Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Sobald die Insulaner-Lotsin selbst einige Kontakte geknüpft und ein kleines Netzwerk aufgebaut hat, kann sie gezielt Menschen zusammenbringen. Mit der Verlängerung des Projektes kann die Insulaner-Lotsin sich intensiver um eine Zusammenarbeit bemühen und die Bildung von Arbeitsgruppen vorantreiben. Dieser Aspekt ist essentiell, damit Projekte sich dauerhaft etablieren und somit auch langfristig wirken können.
Auf Juist treffen dörfliche Strukturen und Bedingungen aufeinander, die sich zumeist eher in urbanen Räumen beobachten lassen. Es gibt nachbarschaftliche Nähe, generationen-übergreifende Familienbeziehungen, Kirchlichkeit und Ehrenamt. Gleichzeitig lässt sich eine hohe Fluktuation bei den Arbeitskräften beobachten – nicht nur im Bereich von Gastronomie und Hotellerie. Der Anteil an Arbeitsmigrant*innen ist vergleichsweise hoch. Viele leben nur während der Saison auf der Insel, arbeiten 6-7 Tage in der Woche und bleiben in ihrer wenigen freien Zeit eher unter sich. Für sie gibt es insgesamt nur wenige Möglichkeiten, mit anderen Bevölkerungsgruppen in Kontakt zu treten. Auf Juist sind die Wohnkosten ähnlich hoch wie in Großstädten und arbeitgeber-unabhängiger Wohnraum - vor allem für Familien - ist kaum vorhanden.
Insgesamt besteht auf Juist eine stärkere Heterogenität in der Bevölkerung als in anderen ländlichen Gemeinden. Die beschriebenen Strukturen machen das Zusammenkommen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen schwierig. Viele haben den Wunsch, etwas an dieser Situation zu ändern und sind offen für gemeinsame Aktivitäten. Was fehlt, ist jemand, der die Initiative ergreift und die Organisation dafür übernimmt. Das Projekt schafft neue Begegnungsräume und -gelegenheiten mit dem Ziel, dass die verschiedenen Akteur*innen regelmäßige Kommunikation als positiv und produktiv erleben. So besteht die Chance, weitere Synergieeffekte zu generieren und gemeinsame Interessen stärker vertreten können.